Autor: Klaus Rensch
Künstler sind Menschen, die sich bewusst als Individuum begreifen und die Aussagen über ihre Lebenswelt auf ihr eigenes Erleben, ihre jeweilige Bildung, ihre Meinungen und ihre Urteilskraft stützen. Sie besetzen mit so geschaffenen Werken eine künstlerische Position auf individuellem Neuland. Dies unterscheidet sie von z.B. Kulturbeauftragten, Gewerbetreibenden, Industriellen, Bankern, Handwerkern oder Dienstleistern, die alle Funktionäre eines Systems oder einer institutionellen Gruppe sind und die gemeinsam Teil einer lang zurückreichenden Kultur sind und diese in der Gegenwart bilden. Diese Unterscheidung soll keinesfalls eine Wertigkeit ausdrücken, sondern nur einen Sachverhalt klären. Nur Wissenschaftler haben noch den gleichen Ansatz, nämlich den, ständig Neuland zu betreten und darauf nach eigenen Regeln zu agieren. Sie tun dies aber nicht auf gegenständliche sondern i.d.R. auf theoretische Art und Weise durch Hypothesen, Gedankengebäude, Experimente, Beweise, Forschung und letztlich in Worten und Schriften. Die Künstler dagegen suchen ihre Positionen durch sinnliche Erfahrbarkeiten, meist in Bildern, Körpern und Klängen oder Mischformen davon auszudrücken. Dabei können Bilder auch Geschichten, also Literatur, Lyrik oder Filme sein. Körper sind Skulpturen, Installationen, Performances oder Räume und Klänge sind natürlich Musik, Geräusche oder Rythmen. All diese Tätigkeiten entbehren der direkten Notwendigkeit, wie z.B. die der Nahrungsmittelversorgung, und werden in ihrer Sinnhaftigkeit oft erst lange nach Erscheinen verstanden oder gar angewandt. Ihre Legitimation erfahren sie häufig erst eine Generation später oder auch nie.
Daraus entstehen bei aller bewusst gewollten Selbstständigkeit verschiedene soziale Probleme. Künstler und Wissenschaftler müssen von etwas leben und beide Spezies sind auf Kontakte zu ihren Mitmenschen angewiesen. Es gibt stark extro- und stark introvertierte Künstler aber ohne Zuspruch, Austausch, Kritik und (Weiter-)Bildung verkümmert jeder Mensch und jede Gesellschaft.
An dieser Stelle kommt eine Künstlergruppe und in unserem Fall konkret der Künstlerbund Heilbronn ins Spiel. Die Welt und mit ihr der Künstlerbund haben sich stark geändert in den letzten 70 Jahren, und zwar, weil Menschen das so wollten und sie werden sich weiter ändern, wiederum, weil das so gewollt sein und den Notwendigkeiten entsprechen wird. Nach dem Krieg versammelten sich regionale Künstler, die überlebt hatten, im wieder entstehenden Künstlerbund und sie trafen auf eine Gesellschaft im Wiederaufbau, im überraschend gut funktionierenden »Wirtschaftswunder«. Sie waren eine klar definierte Gruppe, nicht sehr groß, und sie sprachen, wie alle, wenig davon, was da gerade geschehen war, sondern schauten hungrig nach vorne, weil sie es satthatten, sie aber nicht satt waren. Sie wurden gebraucht, etwa bei der »Kunst am Bau« und geachtet durch die Aufarbeitung der durch die Gleichschaltung im Dritten Reich verpassten Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts. Kunstausstellungen waren lokale Höhepunkte. Interessierte Bürger und die öffentlichen Institutionen freuten sich über »ihre« Künstler und Ankäufe bei Ausstellungen waren eher die Regel als die Ausnahme. Selbst das Museum der Stadt Heilbronn sammelte bestimmte Künstler aus dem Künstlerbund und bis vor noch nicht mal 20 Jahren fand in mehrjährigen Abständen regelmäßig dort eine Jahresausstellungen statt.
Die Aufbauarbeit trug auf vielen Ebenen Früchte, bei Bildung in der Breite der Bevölkerung und Wohlstand (oder andersherum). Die Studentenbewegung in der westlichen Welt leistete in ihrer deutschen Variante einen entscheidenden Beitrag dazu, die in den staatlichen Strukturen verbliebene Verflechtungen zum dritten Reich offenzulegen und zu kappen. Sie erinnerten ihre Eltern und Großeltern wieder, dass die Deutschen epochal versagt hatten und es konnte sich eine notwendige Reflexion Bahn brechen, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Die Verarbeitung findet zum großen Teil in der Kunst statt. Kiefer, Schlingensief und Meese sind die populärsten Arbeiter auf diesem Feld in der Bildenden Kunst, aber es gibt noch viele andere guten Beispiele.
Wachsender Wohlstand der gesamten westlichen Welt, Bildung für alle, lange Friedenszeiten, allgemeine Mobilität, Völkerverständigung. Das ist die positive Sicht der weiteren Entwicklung. Ausbeutung der dritten Welt, Globalisierung, Konsumterror, Klimakollaps, leerstehende Innenstädte stehen auf der anderen Seite der Medaille. Seit Mitte der 1980er Jahre ist ein Boom der Breitenbeschäftigung mit Kunst auszumachen. Es gibt Ausstellungen in Sparkassen, Arztpraxen und Restaurants, viele malen selbst und vor erfolgreichen Museen bilden sich hunderte Meter lange Schlangen, wenn es Klassiker zu sehen gibt. Wer von der Kunst leben will hat in der Provinz wenig Chancen und verlässt besser Städte wie Heilbronn. Werke der klassischen Moderne sind Spekulationsobjekte und auf dem Kunstmarkt werden irrwitzige Preise erzielt. Das gilt aber nur für eine sehr kleine Anzahl zeitgenössischer Künstler. In der Heilbronner Kreissparkasse, bis vor wenigen Jahren einer unserer großzügigen triennalen Gastgeber für regelmäßige Gruppenausstellung, werden momentan Reproduktionen(!) ausgestellt, großer Name: Bob Dylan als Zeichner. Das ist Kunstmarkt auf Heilbronner Niveau.
Seit den 1980er Jahren hat der Künstlerbund in etwa seine heutige Größe mit ca. 75 Mitgliedern. »Kunstmaler gebe es wie Gänseblumen« sagt schon 1912 Thomas Manns Frau Schweigestill zu Adrian Leverkühn im Dr. Faustus, und die seien »meistens ein lockeres, sorgloses Völkchen, ohne viel Sinn für den Ernst des Lebens«. Und dann geht es um den »praktischen Ernst, das Geldverdienen«. Das stellt sich heute in oben skizzierter Weltlage für über 90% der Künstler als prekäres Problem heraus und daher ist es nachvollziehbar, dass die meisten der gänseblümchenhäufigen Künstler heute einem »anständigen« Beruf nachgehen, Geld- und Altersvorsorge betreiben und die vernünftigsten von ihnen auf Lehramt studieren. Andere machen »was mit Medien«, viele sind in der Werbung.
Im Künstlerbund suchen die eingangs genannten Individuen nach Gleichgesinnten. Künstler leben aus ihrer Wahrnehmung und benutzen ihre eigenen Sinne und ihr Gespür als Messinstrument für ihr Tun, für ihr Urteil und für ihre Entscheidungen. Wenn sich also Künstler zusammentun und auch noch teilweise ihr eigenes Publikum bilden, ist dieser Effekt nicht zu unterschätzen, denn so können sie sich gegenseitig fort- und weiterbilden. Man inspiriert sich gegenseitig, setzt sich gegenseitig seine Werke vor und nimmt sich gegenseitig wahr. Das ist ein wichtiger Aspekt, der im Künstlerbund Heilbronn noch sehr ausbaufähig ist und der noch nicht im Bewusstsein aller angekommen ist. Es gibt da noch Luft nach oben. Viel Zeit geht für die Organisation der technischen Abläufe, der Ausstellungsplanung, Organisation von Zuschüssen und deren Verwendungsnachweisen drauf. Immer wieder wollen wir mehr inhaltlich arbeiten und es gibt gute und konstruktive Vorschläge dafür. Aber wir sehen auch, trotz der Pandemie, große Fortschritte in unseren Interaktionen. Unsere Diskussionskultur ist lebendig und vielfältig. Im Moment zieht der Ausstellungsbetrieb wieder an und es laufen spannende Konzepte. Man fühlt schon die Aufbruchsstimmung heraufziehen.
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zora von mrac (Sonntag, 05 Juni 2022 09:36)
Hallo.
Klaus Flachsbarth (Sonntag, 05 Juni 2022 13:27)
Eine gelungene Reflexion der Historie. Ohne die üblichen akademischen Verbrämungen und Definitionen von "Schubladen". Und ein ambitionierter Anspruch für den Weg des KBH in die Zukunft. Da bin ich ganz bei dir.
lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 09:45)
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lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 09:46)
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lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 09:47)
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lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 09:47)
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lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 09:48)
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lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 09:48)
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lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 09:49)
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lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 09:49)
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lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 09:50)
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lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 10:37)
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lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 10:57)
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lxbfYeaa (Montag, 13 Mai 2024 11:14)
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